Die Clinica-Anama als Anker in Krisenzeiten

Was kann eine kleine lokale Gesundheitsstation wie die Clinica-Anama zur Bekämpfung einer Pandemie beitragen?

Dr. Medardo Ernesto Gomez Centeno, Facharzt für Innere Medizin, erklärt die Arbeitsweise der Klinik.


Viele denken, dass ein Schlüsselfaktor, um eine Pandemie unter Kontrolle zu halten, die Kapazitäten der Intensivstationen sind, so wie in Deutschland. Das Ziel ist aber, dass die Intensivbetten überhaupt nicht belegt werden müssen. Dazu braucht es kein Gesundheitssystem, das auf möglichst teurer medizinischer Hardware beruht, sondern ein präventives, aufsuchendes System, das den Menschen als Individuum im Blick hat und sein Lebensumfeld kennt. Erlauben Sie mir, Kuba als Beispiel zu nehmen, dort habe ich Medizin studiert und durfte viel über ein gutes Gesundheitssystem, das allen Menschen gleichermaßen zugutekommt, lernen. Auf Kuba funktioniert das Model des:der Hausärzt:in gut. Das ist die beste Voraussetzung, die Pandemie unter Kontrolle zu halten, da sich die Menschen mit Symptomen an eine Vertrauensperson, den:die Hausärzt:in wenden können. Dieser Effekt ist in Kuba noch ausgeprägter als in
Deutschland, da die Ärzt:innen des Viertels „ihre“ Familien kennen und proaktiv aufsuchen. Durch die Besuche des medizinischen Personals in regelmäßigen Abständen sind die Menschen medizinisch aufgeklärt und Probleme werden schnell entdeckt und können behandelt werden. So können auch zur Corona-Pandemie verlässliche Informationen weitergegeben werden und Infektionsketten werden am Ort des Geschehens frühzeitig entdeckt und durch geeignete Maßnahmen unterbrochen.
In El Salvador sind leider viele Praxen wegen der Pandemie geschlossen. Die Angst vor dem Virus grassiert dort auch unter den Ärzt:innen, die eigentlich behandeln und aufklären sollten, sodass große Infektionsketten erst gar nicht entstehen können. In dieser Zeit kann daher die Clinica-Anama die eben nicht geschlossen hat und nach dem Hausarztprinzip arbeitet, Infektionsketten in Soyapango oder in den Gemeinden aufdecken und dementsprechend reagieren.

Ein weiteres Problem, das durch die Schließung der Praxen in El Salvador und die alleinige Fokussierung auf Covid-19 auftritt ist, dass andere Krankheitsbilder vernachlässigt werden. Ich kenne aus meiner Tätigkeit als Arzt viele Beispiele von Menschen, die anderweitig erkrankt waren und aufgrund von Covid-19 nicht adäquat behandelt worden sind. Ein junger Patient mit Fieber wurde wegen Covid-19-Verdacht an einer Appendizitis spät operiert. Ein 40-jähriger mit Luftnot wegen einer instabilen koronaren Herzerkrankung („beginnender Herzinfarkt“) wurde, bis der Covid-Test negativ war, erst nach einer Woche richtig behandelt. Ein 50-jähriger mit Fieber bei Verdacht auf Covid-19 war in einem Isolations-Zentrum in El Salvador. Seine Urosepsis wurde spät erkannt, sodass er leider verstorben ist. Die Arbeit der Clinica-Anama, ist deswegen derzeit noch wichtiger geworden, um die anderen Erkrankungen, die zur „Normalität“ gehören, nicht zu vernachlässigen. Ich bin fest davon überzeugt, dass die Todeszahl in Zeiten der Pandemie in El Salvador nicht auf Covid-19 zurückzuführen ist. Vielmehr sorgt der Lockdown im Land dafür, dass andere Erkrankungen, physische und psychische Bedürfnisse und die damit einhergehende massive Verarmung der Menschen zu einem Anstieg der Todesfälle führen wird.

Die Arbeit der Clinica-Anama, so wie ich sie kenne, besteht aus einer ganzheitlichen Betreuung der Patient:innen in der Praxis in Soyapango sowie in den Gemeinden auf dem Land und kann in vielen Fälle Leben retten. Man arbeitet dort ähnlich wie in Kuba und sucht die Menschen auf. Wenn man auf die Länder in Zentralamerika schaut, sieht man, dass es die Lebensbedingungen den Menschen dort fast unmöglich machen, Abstand zu halten. Wenn es dort eine Ausgangsperre gibt, sind die Folgen noch dramatischer als die Folgen einer reinen Pandemie selbst. In El Salvador ist beispielsweise zu beobachten, dass die Ärmsten, die ihrer Erwerbstätigkeit nun nicht mehr nachgehen dürfen, bereits keine Lebensmittel mehr zur Verfügung haben und unter Hunger leiden. Das ist fatal, zumal die Fallzahlen vergleichsweise sehr gering sind. Dadurch steigt auch die Suizidrate im Land dramatisch, da die Menschen oft keinen Ausweg sehen, dem Hunger und der Armut zu entgehen.
Auch die Schäden durch Überschwemmungen, die nun inmitten der durch die Pandemie ohnehin schon katastrophalen Situation noch weiteres Elend gebracht haben, müssen nun noch bekämpft werden. Durch die Überschwemmungen sind Verunreinigungen des Trinkwassers zu erwarten und damit einhergehend Magen-Darm-Erkrankungen, die besonders die Kinder hart treffen werden.
Die Clinica-Anama hat sich immer bei den Besuchen in den Gemeinden auf die Ernährungssituation der Kinder fokussiert. In El Salvador kommt leider eine schwere Zeit auf uns zu, in der sich die Problematik um die Ernährungssicherheit vertiefen wird. Die Clinica-Anama hat seit ihrer Gründung die Verpflichtung, dass die medizinische Betreuung und die Gesundheitsversorgung immer vorrangig den Kindern gewidmet werden. Sie begann ihre Tätigkeit in den 90er Jahren in der Nachkriegszeit, nachdem das Land nach dem Krieg zerstört und arm war und als Reaktion auf Gesundheitsprobleme der Schwächsten der Gesellschaft. Die soziale Situation in El Salvador, mit vielen gesundheitlichen Notsituationen und der allgemeinen
Armut, erzeugt viele Krankheiten und die Orientierung der Arbeit der Klinik, ist darauf ausgerichtet, zu helfen und einen solidarischen Dienst zu erbringen, denn Gesundheit ist kein Geschäft und keine Ware.
Die Pandemie führt uns deutlich vor Augen, dass die kapitalistische Wirtschaftsordnung kein zukunftsfähiges Modell ist: Denn auch in Ländern, die eigentlich als wohlhabend angesehen werden, brechen die Gesundheitssysteme zusammen und können die Aufgaben nicht mehr bewältigen. Nur dort, wo es noch halbwegs tragfähige Solidarsysteme gibt, ist auch die Bekämpfung des Virus aus eigener Kraft möglich. In einem Land wie El Salvador, in dem die Menschen schon seit Jahrhunderten unter Ausbeutung, Unterdrückung und Diskriminierung leiden, kann eine solche Pandemie zwangsläufig nur zu einer drastischen Verschlimmerung der Zustände führen. Ohne Solidarprojekte, wie die Clinica-Anama wäre die Situation für viele Menschen noch dramatischer. Diese Arbeit rettet Leben, auch wenn sie natürlich nur ein Tropfen auf dem heißen Stein ist. Darum ist es unsere Aufgabe diese Arbeit zu verstärken.
In diesem Schreiben möchte ich mich bei den Geschwistern in Deutschland, den Gründer:innen und den Direktor:innen für die Arbeit in der Klinik bedanken, die sich für eine solidarische Gesellschaft einsetzen!

(Dr. Medardo Ernesto Gomez Centeno, Facharzt für Innere Medizin ) Juni 2020

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